Projekt "Lichter der Großstadt": „Das Gefühl, dazu zu gehören“

Mit einer bewegenden Aufführung im Werkhof ging am Freitag das Projekt „Lichter der Großstadt“ zu Ende. Sieben Monate lang haben sich vierzig  Jugendliche aus Hagen und Hohenlimburg mit Grundrechten, mit Chancengleichheit, Ausgrenzung und der eigenen Identität beschäftigt. Freitagabend präsentierten sie in einem fulminanten Musik- und Tanztheater ihre Erkenntnisse aus dieser Workshoparbeit. In Szenen, Songs, Tanz-Choreografien und Poetrytexten nahmen sie die  Zuschauenden mit auf eine Reise in persönliche Erlebnisse und Erfahrungen, sie thematisieren eindrucksvoll ihre Flucht und Situationen ihres Alltags, die sie bisweilen humorvoll überspitzten: Ein offensichtlicher Muslim möchte im Zug nur kurz seine Tasche im Abteil stehen lassen. Die Mitreisenden geraten in Panik und überbieten sich in ihren Fantasien zu einer möglichen Bombe in der Tasche. Dabei ist nur eine alte Vase darin, die der junge Mann einem Freund schenken möchte. Resigniert stellt er fest: „Diese Art der Vorverurteilung erlebe ich jeden Tag. “ 

In einer Familiensituation spielen die Jugendlichen auf humorvolle Weise durch, wie rasch Grund- und Freiheitsrechte, die oft als selbstverständlich wahrgenommen werden, verletzt werden können. In der Show "Grundrechte für Gerechte" öffnet die Mutter den Brief der Tochter. Der  Vater hat zudem noch nie etwas von Gleichberechtigung von Mann und  Frau und dem Recht auf freie Berufswahl gehört: Seine Tochter soll auf keinen Fall Dachdeckerin werden. 

Die Frage der eigenen Identität - wer bin ich und wer möchte ich sein in dieser Gesellschaft - zieht sich wie ein roter Faden durch das Stück. Eine schwarze Teilnehmerin macht deutlich, wie sehr die kleinen, täglichen Nadelstiche der Ausgrenzung und des Alltagsrassismus schmerzen. Dabei wünscht sie sich nur Respekt und Begegnung auf Augenhöhe: „Ich fühle mich als Teil eines Landes, einer Gesellschaft, die ihre Grundrechte als ihr höchstes Gut definiert. Trotzdem muss ich meine Zugehörigkeit jeden Tag aufs Neue erklären und rechtfertigen.“

Träume für die Zukunft, so erlebt es auch die junge Lilly, werden nicht selten von Erwachsenen ausgebremst: Ihr Berufswunsch als Friedensbotschafterin sei doch nur „heiße Luft“, sagt ihr Lehrer, sie müsse realistisch bleiben. Traurig pustet  Lilly den Staub der Träume in die Luft, der von ihrem Lebenswunsch übrig geblieben ist: „In einer Welt ohne Träume gibt es keinen Platz für mich“.  Dass sich Träume aber trotz widrigster Lebensumstände verwirklichen lassen, zeigte der junge Tänzer Mo in einer Tanzperformance, die Furcht, Verzweiflung aber auch Hoffnung auf bewegende Weise transportiert. In einer Einspielung wird seine Geschichte erzählt: Während eines Bombenangriffs in seiner Heimat Syrien wird – ein Tag vor der geplanten Flucht - sein Körper mit Splittern übersät. Auf Krücken wagt er sich auf eine zweijährige Odyssee, bis er endlich in Deutschland ankommt. Hier muss ein Bein amputiert werden. Er gibt seinen Traum als Tänzer aber nicht auf, kämpft gegen die Schmerzen und mit täglichem Tanztraining dafür, dass das fast Unmögliche Realität wird. Bei seiner emotionalen Tanzchoreographie bleibt kaum ein Auge im Publikum trocken.

Die Gruppe zeigt in der Abschlussszene, in der sich alle mit tiefem Mitgefühl umarmen, wie entscheidend Wertschätzung und Respekt für eine solidarische Gesellschaft sind. Denn, und das ist  die Quintessenz des Stücks, nur dann kann der Traum von einem Zusammenleben wahr werden, in dem alle Menschen auch im Alltag gleiche Rechte haben. In Gesprächen mit dem Publikum zeigte sich nach der Aufführung, dass nicht wenige der Besucherinnen und Besucher die Erfahrungen der Jugendlichen teilen. Die beiden Initiatoren Gandhi Chahine und Dirk Schubert vom Projektträger HeurekaNet e.V. bedankten sich in ihren Statements bei der Landeszentrale für Politische Bildung und beim Werkhof Hohenlimburg dafür, dass sich die  Jugendlichen mithilfe der Förderung mit diesen Themen auseinander setzen durften.

Statements zu dem Stück:

"Ich bin von der Kreativität, Qualität und Professionalität der Aufführung sehr beeindruckt und zutiefst berührt von manchen der dargestellten Lebenserfahrungen, die Menschen bereits im jungen Alter machen mussten. Man kann nur froh sein, dass diese jungen Menschen nun in Sicherheit sind. Optimistisch stimmt mich jedoch, dass eben diese jungen Menschen sich auf so vielfältige Art für unser Grundgesetz stark machen. Allerdings frage ich mich schon, weshalb es den politischen Parteien nicht gelingt, diese Potentiale zu entdecken und zu fördern. Ich denke, die Aussage der Inszenierung, dass junge Menschen von uns Lebensälteren viel zu wenig gehört und ernst genommen werden, trifft leider in erschreckender Weise zu." (Sara Hakemi, Lehrerin).

"Es war mal wieder höchste beeindruckend, was die "Lichter der Großstadt" unter der Regie von Gandhi Chahine darboten: Es war ein Feuerwerk, dass sie mit ihren Fluchterfahrungen, über ihr Ankommen in Deutschland und ihr Erleben von Diskriminierung und Rassismus zündeten. Nicht moralisierend, sondern so erlebnisstark und ausdrucksvoll dargestellt, dass die Zuschauer diese Erfahrungen hautnah miterlebt haben. Gut, dass es in Hagen diese Form der Jugendarbeit gibt! Dem Werkhof-Team ist zu danken, dass es diese Arbeit leidenschaftlich unterstützt hat! Das war nicht selbstverständlich." (Paul Gaffron, 1. Vorsitzender des Vereins East West East und Diplom-Pädagoge).

Das Projekt wird gefördert von der Landeszentrale für Politische Bildung Nordrhein-Westfalen.

Ansprechpartner: Dirk Schubert

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Szene aus der Abschlussaufführung am 28. April 2023 im Werkhof. Foto: Dirk Schubert.
Der Träume-Staub fliegt davon. Foto: Dirk Schubert